Es ist Jahre her, als ich einmal Zeuge der Zeugen wurde. In Bernburg waren Vertreter der "Zeugen Jehovas" unterwegs. Sie gehen ja immer von Haus zu Haus, klingeln an der Tür, wollen reden, über Gott (vor allem) und die Welt (das weniger).
Als ich sehe, wie zwei dieser Vertreter an der Haustür klingeln, verlangsamt sich mein Schritt. Das will ich wohl gerne sehen und hören... Heraus aus der Tür tritt eine junge Bernburgerin, die alle Klischees bedient: Jogginghose, Tattoos, Piercings und eine Zigarette in der Hand.
Jetzt wird es spannend, denke ich. Einer der beiden Zeugen Jehovas beginnt mit dem Satz: "Glauben Sie nicht auch an Gott?" Die Angesprochene antwortet: "Nee, ich gloobe bloß an das, was ich sehen kann." Dabei reibt sie demonstrativ Daumen und Zeigefinger aneinander, so, wie man Geld zählt.
Wie gerne hätte ich gewusst, wie das Gespräch weiterging. Aber ich konnte ja schlecht stehen bleiben. Dann hätten die noch gedacht, ich wäre neugierig. Nicht, dass ich jetzt in den Verdacht komme, ein Anhänger der "Zeugen Jehovas" zu sein. Aber: ein bisschen taten mir die beiden leid.
Da sind sie nun extra aus dem Westen hergefahren (wie dieser Tage auch wieder in Amesdorf zu erleben war), voller Enthusiasmus, endlich ein paar Leute zu überzeugen. Und dann kommen solche Sätze, wie: "Ich gloobe bloß an das, was ich sehen kann."
Das ist ja im Grunde auch mein Problem und das meiner Kollegen: wir versuchen etwas zu vermitteln, was man weder sehen noch anfassen kann. Und stoßen allzu oft auf Menschen, die so sind, wie die Dame in der gestreiften Jogginghose.
Dabei - das weiß doch jeder - kann man die wichtigen Dinge des Lebens weder sehen noch anfassen: Gesundheit, Liebe, Trauer, Schmerz, Segen: Nichts davon kann man anfassen oder sehen. Und doch machen grade die unsichtbaren, unfassbaren Dinge unser Leben lebenswert.
Ich wünsche Ihnen - auch im Namen meiner Kollegin Renate Lisock - gesegnete Frühlingstage.
Ihr Arne Tesdorff