Tauschen von Frühstücksbroten in der Pause früher in der Schule gab es bei uns nicht, vielleicht auch, weil ich fast immer ein Brot, bestrichen mit Speckfett, bekam. Als ich einmal im neuen Jahr - nachdem ich in einem Päckchen von meinem Patenonkel Mandarinen geschenkt bekommen hatte, eine Mandarine in die Schule mitnehmen wollte, bat mich meine Mutter: „Dorothee, Du hast nicht genug Mandarinen für alle und wenn Du allein isst, dann blutet den anderen das Herz, sei barmherzig.“
Mit ist die Geschichte aus meiner Schulzeit wieder eingefallen, als ich letztens mit einem Bekannten über Barmherzigkeit diskutiert habe. „Ihr Christen mit euer Barmherzigkeit“, hatte mein Gegenüber gesagt, „das ist doch aus Zeiten, als es Herren und Knechte gab. Irgendwie von oben herab. Ich brauche keine Barmherzigkeit.“
Erstmal war ich verblüfft. Für mich ist bis heute Barmherzigkeit ein Grundwert meines Glaubens. Barmherzigkeit ist für mich das Gegenteil von Gleichgültigkeit und Egoismus. Barmherzigkeit im biblischen Sinn bedeutet keine Überheblichkeit oder Gefühlsduseligkeit. Wer barmherzig ist, handelt. Er öffnet sein Herz, wenn einer erzählt, dass es ihm schlecht geht. Er bemüht sich, großmütig zu sein, wo sonst die Geduld an ihre Grenzen kommt. Und er packt an, wo es gilt.
Anpacken, Dasein, wo es gilt, davon erzählt Jesus immer wieder eindrücklich:
Seid barmherzig, wie Euer Vater barmherzig ist.
Lk 6,36
- hat Jesus gesagt. Und „selig sind die Barmherzigen!“.
Während ich diese Gedanken niederschriebe sind wir in der zweiten Pandemiewelle und hoffen, dass bis zum 10. Januar sich die Ansteckungen verringern, nicht mehr so viele Menschen krank werden oder sogar sterben.
Auch in den vergangenen Wochen haben viele Menschen sich trotz körperlichen Abstands umeinander gesorgt und gekümmert. Das macht mir Mut und lässt mich bei allem, was unsicher ist, zuversichtlich in das neue Jahr gehen.
„Werdet barmherzig einander gegenüber, wie euer himmlischer Vater barmherzig ist“, fordert Jesus die Menschen auf. „Lasst einander spüren, dass ihr einander nicht gleichgültig seid.“, So übersetze ich das im Moment für mich, denn ich glaube, dass Gott barmherzig ist. Einer, der sich anrühren lässt von der Not der Menschen, dem wir eben nicht gleichgültig sind.
Und ich glaube auch, dass damit ein Auftrag an mich verbunden ist: dass ich selbst barmherzig sein möge anderen gegenüber.
Für das neue Jahr wünschen wir Ihnen
Gottes reichen Segen
Ihre Pfarrerinnen
Dorothee Schmitt und Renate Lisock